LÜNEN/DORTMUND. Er will die Weiterbildung modernisieren und Betrieben bei der Digitalisierung helfen. Als neuer Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) wirbt Stefan Schreiber auch dafür, dass Lünen „nach wie vor Gewerbegebiete zur Verfügung stellt“. Gregor Beushausen und Peter Fiedler sprachen mit ihm.

Herr Schreiber, welches Herz schlägt höher: das des Motorradfahrers Stefan Schreiber oder das Herz des BVB-Fans Stefan Schreiber?

Das des Fußballjugendbetreuers! Beim Hombrucher SV habe ich 2004 angefangen, danach ging es über den Kirchhörder SC bis zum TSC Eintracht. Da kann man einige Erfahrungen sammeln. Es kommt vor, dass der Schiedsrichter ausfällt und man kurzerhand einspringen muss. Unangenehm wird’s, wenn man sich gleich in der dritten Minute eine Zerrung holt und das Spiel zu Ende pfeifen muss. Trotzdem: Das Engagement hat mir Spaß gemacht. Es ist aber auch mit erheblichem Zeitaufwand verbunden, sodass ich erst einmal einen Schnitt gemacht und meine Aufgabe abgegeben habe. Trotzdem bleibe ich dem Jugendfußball verbunden.

Sie waren seit 1999 in der IHK-Geschäftsführung auch für Lünen zuständig und kennen die Stadt gut. Welche Stärken hat Lünen aus Ihrer Sicht?

Das bürgerliche und unternehmerische Engagement in Lünen ist von besonderer Qualität. Wenn es darum geht, für die Stadt und für den Wirtschaftsstandort Initiativen oder aber auch Maßnahmen zu entwickeln, stehen die Lüner beisammen. Ein gutes Beispiel aus den letzten Jahren ist die Initiative „Pro Lünen“ gewesen, die sich wichtiger Themen in der Stadt angenommen hat. Besonders hervorzuheben ist allerdings auch das Drachenfest und das Kinofest. Diese beiden Veranstaltungen werben für den Standort Lünen weit über unsere Grenzen hinaus.

Wo verorten Sie denn die Schwächen Lünens?

Ich möchte nicht über Schwächen in Lünen reden, sondern über besondere Herausforderungen. Lünen befindet sich nach wie vor in den Themen Arbeitsplätze, Aus- und Weiterbildung, Firmensitz sowie Wohn- sowie Erholungsstandort im Wettbewerb der Standorte. Dazu zählt natürlich auch eine intakte Verkehrsinfrastruktur sowie die bestehende Arbeitslosigkeit. Die Zusammenführung und Koordinierung der o. g. Punkte führt gerade auch vor dem Hintergrund der Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen natürlich auch zu Konflikten. Hier gilt es, für die Zukunft ein positives Miteinander zu entwickeln, um die Herausforderungen in diesen Themen zu meistern.

Sie haben mal gesagt, das Bild des „ehrbaren Kaufmannes“ sei für Sie zu einer inneren Überzeugung geworden: Was ist ein ehrbarer Kaufmann?

Meine Eltern waren Betreiber einer Tankstelle und eines Werkstattbetriebes. Von ihren Erfahrungen und Wertvorstellungen eines ehrbaren Kaufmanns habe ich nicht nur profitiert, sondern sie haben mich wesentlich geprägt. Für den ehrbaren Kaufmann gilt der Handschlag, er ist fair und ehrlich und steht zu seinen Vereinbarungen. Darüber hinaus zeigt er soziale Verantwortung und engagiert sich für seine Stadt oder Region.

Sie haben angekündigt, die Weiterbildungsangebote der IHK moderner auszurichten und dafür Gebäude und Technik anzupassen. Was heißt das?

Wir wollen ein noch besseres Fingerspitzengefühl für die Bedürfnisse und Ansprüche der Unternehmen entwickeln. Neben der klassischen Art eines Unterrichts im Seminargebäude entwickelt sich zunehmend eine moderne Art – das E-Learning. Hierbei eignet man sich über Tablet oder PC das Wissen an. Dazwischen müssen wir die richtige Balance finden.

Sie werden so oder so investieren müssen.

Richtig ist, dass unser Seminargebäude nicht mehr das jüngste ist. Wir müssen prüfen, wie wir unser Weiterbildungsangebot positionieren. Hierzu stehen uns alle Optionen offen. Ich denke, 2016 wird dazu eine Entscheidung fallen.

Wie sehr ärgert es Sie, dass sich der weitere Ausbau der B 54 in Lünen so lange hingezogen hat und der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke Lünen-Münster noch immer in den Sternen zu stehen scheint?

In der Verkehrspolitik bohrt man nicht nur dicke Bretter, sondern auch Balken. Bereits zu Beginn meiner Tätigkeiten in der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund haben wir uns im Verkehrsbereich mit diesen beiden Verkehrsprojekten auseinandergesetzt. Auch Entscheidungen in der Stadt führten zeitweilig dazu, dass insbesondere das B 54-Projekt nicht vorangeschritten ist. Ich hoffe sehr, und die IHK wird ihren Beitrag dazu leisten, dass in naher Zukunft beide Projekte weiter verfolgt und umgesetzt werden.

Sie haben mehrfach betont, der ortsansässige Handel und das Internet müssten zu Verbündeten werden. Dortmund solle ein „Hot Spot“ für den klassischen und digitalen Handel werden. Wie muss man sich das vorstellen und lässt sich das auf Lünen übertragen?

Das Internet beeinflusst unser Kaufverhalten sehr stark, deshalb ist es erforderlich, dass wir regionale, ortsansässige Einzelhandelsunternehmen bündeln, um somit den Herausforderungen des E-Commerce gerecht zu werden. Erste gute Ansätze gibt es bereits in Wuppertal im Rahmen einer Internetplattform. Auch die Wirtschaftsförderung Dortmund arbeitet an einem solchen Projekt. Wir sollten versuchen, in Lünen auch unsere Unternehmen auf das Thema E-Commerce, wenn noch nicht geschehen, besser einzustellen.

Bei der Verfügbarkeit von Gewerbeflächen setzen Sie auf eine „angebotsorientierte Politik“. Was bedeutet das für Lünen?

Die Wirtschaftsförderung in Lünen mit Michael Sponholz an der Spitze leistet seit vielen Jahren im Bereich der Akquisition neuer Unternehmen wertvolle Arbeit. Eine Wirtschaftsförderung kann aber auch nur solange erfolgreich arbeiten – und hier zählt natürlich auch die IHK dazu – wenn umfangreich und umfassend Gewerbegebiete für die Akquisition neuer Unternehmen und damit neuer Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, dass die Stadt Lünen nach wie vor Gewerbegebiete für die Ansiedlung von Unternehmen zur Verfügung stellt.

Die Digitalisierung der Wirtschaft schreitet voran. Ist Lünens Mittelstand ausreichend vorbereitet?

Das ist ein ganz großes Thema. Wir erleben gerade die vierte technische Revolution. Die Digitalisierung und die Automatisierung machen die Fertigungsprozesse effektiver. Dabei werden die Steuerungs- und Endgeräte immer intelligenter. Es ist nicht alles Neuland, denken Sie nur an die elektrischen Assistenzsysteme im Auto. Ich bin mir sicher, der Mittelstand ist vorbereitet. Wir haben mit dem Know-how unserer Unternehmen und unserer Wissenschaft gute Chancen, den Trend maßgeblich mitzugestalten. Mit dem gerade entstehenden Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0 West wird die gesamte Region bestens auf die unmittelbaren großen Themen und Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sein.

Sie haben betont, die IHK müsse ihre „Meinungsführerschaft in allen wirtschaftspolitischen Belangen weiter ausbauen“. Die IHK wird sich wieder stärker in die politische Debatte einbringen?

Ich möchte es so ausdrücken: Wir haben eine sachliche Konfliktbereitschaft. Mit den wirtschaftspolitischen Akteuren in Lünen arbeiten wir konstruktiv zusammen. Natürlich gibt es auch Konflikte. Denn immer häufiger müssen auch die Interessen von Bürgern – beispielsweise beim Thema Umweltschutz – berücksichtigt werden. Die IHK spricht für die gesamte gewerbliche Wirtschaft. Gerade auch die Ausweisung neuer Gewerbegebiete – und damit die Umwandlung von Freiflächen – führt immer häufiger zu kontroversen Diskussionen. Dabei werden wir die Interessen der Unternehmen nicht aus dem Auge verlieren. Die IHK hat bei allem Diskussionsbedarf ein hohes Interesse an einer sachorientierten Auseinandersetzung.

Als neuer IHK-Hauptgeschäftsführer werden Sie die Zuständigkeit für Lünen abgeben müssen. Wer übernimmt in Zukunft diese Aufgabe?

Ich habe sehr gern die regionale Zuständigkeit seit 1999 in Lünen wahrgenommen und bin dankbar für die gute Zusammenarbeit mit der Lüner Unternehmerschaft sowie Politik und Verwaltung und den engagierten Bürgern in Lünen. Vieles haben wir zum Wohle der Stadt realisieren können. Mein Nachfolger Klaus Brenscheidt verfügt bereits heute über ein gutes Netzwerk in Lünen und hat schon zahlreiche Anknüpfungspunkte in seiner täglichen Arbeit in Lünen gehabt. In seiner neuen Funktion als regional Zuständiger im Rahmen der Geschäftsführung der IHK zu Dortmund wird er die Aufgabe mit Freude und Leidenschaft übernehmen.

INFO  1991 als Referent bei der IHK begonnen

Seit dem 1. Oktober bekleidet Stefan Schreiber (52) das Amt des Hauptgeschäftsführers der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (IHK). Gemeinsam mit Präsident Udo Dolezych steht er an der Spitze der IHK.

Schreiber ist Diplom-Betriebswirt, hat an der Fachhochschule (FH) Dortmund studiert. 1991 begann er als persönlicher Referent des Hauptgeschäftsführers und arbeitete sich Schritt für Schritt nach vorn.

Zuletzt übernahm er im September 2013 das Amt des Vize-Hauptgeschäftsführers.

Zu seinen Themenfeldern gehören Industrie, Technologie, Verkehr und Umwelt.

Sein Wissen bringt er auch als Geschäftsführer im Technologiezentrum ein. Den Posten an der Spitze des Verkehrsverbandes Westfalen hat er Anfang Oktober aufgegeben.

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 15. Oktober 2015